Das nächste Jahrhunderthochwasser wartet bestimmt nicht, bis der 1982 geschlossene deutsch-französische Staatsvertrag endlich in die Tat umgesetzt worden ist.
Das befürchtet die 1996 gegründete Hochwassernotgemeinschaft Rhein e. V., ein Zusammenschluss von Gemeinden, Städten und Bürgerinitiativen vom Oberrhein bis an die niederländische Grenze. Gründungshintergrund waren die großen Rheinhochwasser von 1993 und 1995 und damals schon die Erkenntnis, dass nachhaltige Vorsorge angesichts der Gefahren forciert werden müsse. Es ist zu befürchten, dass sich diese Gefahren angesichts der inzwischen unbestrittenen Folgen des Klimawandels verschärfen können.
1982 wurde im deutsch-französischen Vertrag festgeschrieben, dass der vor dem Oberrheinausbau vorhandene Hochwasserschutz gegen ein 200-jährliches Ereignis mit der Realisierung von insgesamt 226 Millionen Kubikmetern Retentionsraum wieder herzustellen ist. Davon kann 30 Jahre danach nicht die Rede sein, denn von den erforderlichen ca. 150 Millionen Kubikmetern Retentionsvolumen allein in Baden-Württemberg sind gerade mal 70 Millionen (knapp die Hälfe, entsprechend einem 100-jährlichen Ereignis) bereitgestellt worden, und auch das nur mit dem Rechentrick, die vor dem Vertrag bereits fertigen Rückhalteräume mitzurechnen.
Nur drei Rückhaltestandorte sind heute in Baden-Württemberg realisiert. Das Integrierte Rheinprogramm (IRP) mit seinen 13 Polderstandorten sollte bis 2015 umgesetzt sein. Jetzt bezeichnet die Landesregierung Baden-Württemberg eine angestrebte Fertigstellung aller IRP-Maßnahmen bis 2028 als „ambitioniertes“ Ziel.
Aufgrund von langen Bauzeiten, Interessenskonflikten und erheblichen Kürzungen der finanziellen Mittel kommt es ungeachtet der Verschärfung der Gefahren für die Unterlieger und der riesigen Schadenspotentiale zu inakzeptablen Verzögerungen für die Betroffenen. Hier ist mehr Solidarität gefordert. Frankreich hat seine Verpflichtungen erfüllt und Rheinland-Pfalz ist auf dem besten Weg dahin. Hessen finanziert zwar den Hochwasserschutz mit, sollte nach Ansicht der Hochwassernotgemeinschaft aber auch mit dem Bau von Retentionsräumen am Rhein seinen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft nachkommen.
Die Menschen am Mittelrhein haben über Jahrhunderte gelernt, mit dem Fluss zu leben und treffen selbstverständlich Eigenvorsorge. Verbessert sich die Situation am Oberrhein jedoch nicht grundlegend, werden sie zukünftig den Aufgaben nicht mehr gewachsen sein. Sie sind auf die Unterstützung der Oberlieger angewiesen.
Die HWNG fordert daher die Verantwortlichen in Verwaltung und Politik auf, ihrer Verpflichtung nachzukommen und trotz der vielfältigen Widerstände das Integrierte Rheinprogramm umgehend umzusetzen sowie ausreichende finanzielle Mittel bereitzustellen. Angesichts der schleppenden Erfüllung des deutsch-französischen Staatsvertrags sollte über eine Neuauflage mit einer Festschreibung der vereinbarten Retentionsvolumina und einer stärkeren Einbeziehung des Risikomanagements nachgedacht werden.
Menschen, Kultur- und Wirtschaftsräume entlang des Rheins sind weiter wachsenden und nicht mehr tatenlos tolerierbaren Gefahren ausgesetzt.